Sonntag, 18. Oktober 2015

Das doppelte Mäusezähnchen und der Ernst des Lebens

Nachdem das doppelte Mäusezähnchen gerade gesund und munter seinen 20. Lebensmonat vollendet hatte und weiterhin Tag für Tag fröhlich wie ein freigelassener Tornado durch Haus und Hof wütete, beschlossen die Eltern, die mittlerweile schütteres Haar und Sorgenfalten auf dem Haupt trugen,  dass es nun an der Zeit sei, etwas Ruhe und Ordnung, sowohl in die gemeinsame Behausung  als auch in die Seele der aufopfernden Zwillingsmutter, zu bringen.
Zu diesem Zweck informierten sie sich über eine bunte Vielzahl von außerhäuslichen Betreuungsmöglichkeiten für fleischgewordene Wirbelwinde mit Duracell Power und identischem Erbgut, sollte es ihnen doch an nichts fehlen, während die Mama sich selbst und ihre Umgebung zweimal die Woche ein wenig sortieren wollte.
Es begab sich also, dass Mama und Papa dem guten Stern folgten, der ihnen den Weg zur besten Krippe leuchtete und voller Freude erkannten sie, dass sich nebst dem obligatorischen Ochs und Esel, auch noch einige freundliche und kompetent wirkende Erzieher und herzallerliebste Kinderlein in der Krippe befanden, die den verzweifelten Eltern christlich Zuflucht gewährten.  Wenn schon nicht für diese selbst, so zumindest für ihre beiden lockigen Engelchen gab es noch Platz. Hosianna in der Höhe!
Der Einlass zur Himmelspforte führte allerdings über einen steinigen Weg mit fiesen, spitzen Kieselsteinen, die sich unbarmherzig in die frisch pedikürten, zarten Fußsohlen bohrten.
Zunächst wurden die Eltern von den drei heiligen Königen der Kinderkrippe mit Stapeln an Formularen und Anträgen bedacht, die sie zu lesen, auszufüllen und zu verschicken hatten. Die milde Gabe stellte sich als harte Prüfung für die ohnehin nicht minder belasteten und gestressten Eltern heraus.
Als zweite Herausforderung wurde der Mutter auferlegt, mit dem doppelten Mäusezähnchen, dem Gefährt des doppelten Mäusezähnchens und dem öffentlichen Personennahverkehr eine Jahresration an Pampers, Pflegeprodukten, Kleidungsstücken für jede Jahreszeit, Accessoires und Zubehör für jede Gelegenheit zum Stall zu bringen. Pardon, zur Krippe natürlich.
Den dritten und schwersten Schritt stellte dann das eigentliche Aufnahmeritual, die „Eingewöhnung“ dar. Jeden Morgen für ganze ZWEI WOCHEN musste die gesamte heilige Familie beinahe 90 Minuten vor der gewohnten Zeit das Bett und Haus verlassen, um zum Ort der zukünftigen (prophezeiten) Erlösung zu pilgern.
Das Grauen im Morgengrauen.
Unausgeschlafene, übermüdete Prinzessinnen, die bisher nie in ihrem Leben aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt worden waren (sieht man von den dreistündlichen Angeboten zur flüssigen Nahrungsaufnahme auf der Frühchen-Station einmal ab), übermüdete, unausgeschlafene Eltern, die sich mit einer völlig neuen (wenn auch für viele Familien alltäglichen) Situation konfrontiert und überfordert sahen.
Der Papa, so müde und verpeilt, dass er MZ 1 kurzerhand den Pyjama unterm Outfit anließ, was zu einem peinlichen Zwischenfall für die Mama führte, die am liebsten rumpelstilzchen-gleich im Boden versunken wäre, als der Schlafanzug später in der Krippe ans Tageslicht kam.
Die Mama so unausgeschlafen und übermüdet, dass sie zu den Kontaktlinsen gleich sicherheitshalber noch die Brille aufsetzte und sich allen Ernstes fragte, warum ihr plötzlich so unglaublich blümerant zumute war.
Übermüdete, unausgeschlafene und sehr genervte Fahrgäste auf ihrem Weg zum Job im öffentlichen Personennahverkehr, die sich jeden Morgen fragten, was diese unausgeschlafene, übermüdete Mutter mit den beiden unausgeschlafenen, übermüdeten und sehr unzufriedenen Kindern denn am so frühen Morgen schon hier verloren hätte. Störten diese drei doch die übellaunige Stille im Tram ebenso, wie die Stehplatz-Situation im mittleren Bereich desselben.
Erklärend muss hier eingeschoben werden, dass die Morgenmuffelchen natürlich NICHT morgens oder gar ganztags in die Krippe gehen sollten, sondern regulär zweimal die Woche nach dem Mittagessen. Zum Spielen mit den anderen lockigen Engelchen, deren Eltern in der Zwischenzeit gute Taten vollbringen wollen oder zumindest vortäuschen, ebendies zu tun.
Leider aber: Während der Eingewöhnung galten andere Regeln, die uns unseren Rhythmus ordentlich durcheinanderschüttelten. Da gab es leider keine Gnade von oben.

Die Krippe selbst im 1. Stock ohne Aufzug. Mäusezähnchen Zwei ist gerade in Ihrer „Ich mache alles GANZ alleine, und zwar NUR alleine, AUSSCHLIESSLICH alleine – Phase“ und bestand täglich darauf, die für sie oberschenkel-hohen, dreckigen Treppenstufen ALLEINE und zwar GANZ alleine hinaufzukriechen. Und zwar mit Puppe/Kuscheltier/Nuggi/Frühstück in der einen und Trinkflasche/Mütze/"WasauchimmersieaufdemWegnochsogefundenhatte" in der anderen Hand.
Weder dies war im straffen Zeitplan der Mama eingerechnet gewesen, noch die Tatsache, dass nur jedes dritte vorbeifahrende Tram überhaupt dem Zwillingsgefährt Einlass bieten konnte (Aufgrund zu enger Türen und Treppenstufen am Einstieg).
So stellte es sich ein, dass jeden Morgen eine übermüdete, unausgeschlafene, völlig nassgeschwitzte und nicht minder abgehetzte Mama, ihre beiden übermüdeten, unausgeschlafenen und völlig überraschten Kinder in die Krippe brachte.
Das morgendliche Ritual hieß „Morgen-Chreisli“ und gestaltete sich - in den sieben Tagen, in denen die Mama der Veranstaltung noch beiwohnen durfte zumindest (bevor sie sich abnabeln musste von allem, was ihr lieb und teuer war – vor Allem dem Begrüßungslied „Schwappschwabbiduba“) – folgendermaßen:
Alle Kinder – vom sechsmonatigen Schätzeli bis zum viereinhalbjährigen Lillifee-Maitli sitzen brav im Kreis (dem „Morgenchreisli“ nämlich) und rühren sich im Verlauf der nächsten 30 Minuten um keine 5 cm von ihrem Fleck weg.
(Vielleicht werden sie ja unter Hypnose gesetzt, sobald ihre Eltern sie abgeliefert haben???)
Es wird ein Lied gesungen, ein Fingerversli gesprochen, reihum werden die Chind begrüßt und gefragt, was sie heute "zum Zeigen“ dabei haben. Die Objekte reichen vom (der Krippe Vortags geklauten) Haargümmeli bis zur ferngesteuerten Roboterfaust, die Neon Grün leuchtet.
Danach werden einige Kärtli mit Spiele-Vorschlägen in die Mitte gelegt und jedes Kind wählt sich eine Aktivität und einen Mitspieler aus oder wird eben zum Spielpartner und zur Aktivität auserwählt.
Es ist nicht zu glauben, wie brav und routiniert dieser große Haufen Kinder gemischten Alters, gemischter Nationalität - und überhaupt – den Abläufen folgt!
Nicht so das doppelte Mäusezähnchen! Ihre Hoheiten Prinzessin MZ1 und Prinzessin MZ 2 waren von Anfang an der Ansicht, dass ALLES, ALLES was hier an Darbietungen und Veranstaltungen aufgeführt wird, einzig und allein zu IHREN EHREN und IHRER großen Belustigung organisiert wurde!
Bestens gelaunt turnt MZ1 inmitten des Morgenchreisli den herabschauenden (und durch die Beine lachenden) Hund, während MZ 2 mal eben den Rundgang durch die Räumlichkeiten macht, um nach dem Rechten zu sehen. Da vollführt MZ 1 fröhlich den sterbenden Schwan inmitten ihres staunenden Auditoriums, während MZ 2 kisten- und körbeweise Spielzeug mit in die Runde bringt.
Da geht MZ 1 von Kind zu Kind und sammelt fleißig die „Geschenke“ ein (bei den "Geschenken" handelt es sich allerdings um die mitgebrachten Objekte zum Zeigen, aber das wissen bzw. verstehen die MZ scheinbar als einzige noch nicht), während MZ 2 sich an den Aktivitäten-Karten gütlich tut und entscheidet, dass sie heute alle 50 Angebote in Anspruch nehmen wird (zumindest wenn man nach den Karten geht, die sie sich in den Mund steckt), während der Hofstaat gerne wie gehabt, regungslos im Kreis sitzen bleiben darf.
Würden die Erzieherinnen die Zwillinge nicht so mega-härzig finden und allesamt am liebsten mit nach Hause nehmen (sagen sie zumindest), würde sich die Mama also VIELLEICHT schon wieder schämen. Diesmal nicht für den verpennten Papa, sondern für die besten Mädchen der Welt.

Und allein DAS ist ja schon wieder ein Grund zum Schämen!
Weil sie doch bis jetzt gedacht hat, ihre Goldmädchen – der besonderen Geschwisterkonstellation sei´s gedankt oder geschuldet – wären den anderen Kindern in Sachen Sozialkompetenz um Lääääääääääängen voraus.
Tja falsch gedacht, Mama!
Hier in der Krippe gelten andere Regeln.
Da müssen wir alle erst noch reinwachsen.
Amen.